Die 2009 maßgeblich von den Kameradschaftsführern Thomas Wulff und Dieter Riefling initiierte Demonstrationsreihe „Tag der deutschen Zukunft“ war bislang ein Event der norddeutschen Neonaziszene. Nach Aufmärsche in Pinneberg (2009), Hildesheim (2010), Braunschweig (2011), Hamburg (2012) und im letzten Jahr Wolfsburg spekulierten Beobachter_innen auf Bremen als nächstes Ziel der Neonazis. Die Verlegung nach Dresden kam daher unerwartet – sie erklärt sich jedoch, wenn man die Kampagnenform des TddZ und die dahinter stehenden Überlegungen der Nazikader näher beleuchtet. Wir möchten dies mit diesem Beitrag versuchen.
TddZ – eine Kampagne im Stolperschritt
Wichtiger Punkt für das Verständnis des TddZ ist, dass er nicht bloß eine Neonazidemonstration darstellt. Natürlich ist eine größere, aggressiv und wütend auftretende Demo ein wichter Motivationsfaktor für die extreme Rechte – vermittelt sie doch Zusammenhalt und ein Gefühl der Stärke gegen den gemeinsamen Feind „Überfremdung“
Allerdings gingen die Pläne der Köpfe hinter dem TddZ schon immer über einen einzelnen Tag hinaus. Anspruch war – besonders nach der Steigerung der Teilnehmerzahlen auf ca. 650 Personen 2010 in Hildesheim – eine länger und tiefer in die Gesellschaft wirkende Kampagne zu fahren. Das Konzept dafür sieht eine über das ganze Jahr verteilte kleine Aktionen zu dem Schwerpunkt „Überfremdung“ vor, die neben der öffentlichen Präsenz völkisch-nationalistischer Inhalte auch mobilisierend für die Demonstration zum TddZ als Höhepunkt wirken sollen.
Damit verbinden Wulff und Riefling als erfahrene Politaktivisten vor allem zwei strategische Ziele:
- Die Verankerung offensiv rassistischer und nationalistischer Ideologie in der breiten Gesellschaft auch außerhalb der eigenen Szene
- Die Verankerung offensiv auftretender, aktions- und diskursfähiger Kameradschaftsstrukturen im norddeutschen Raum
Beide Ziele konnten bislang glücklicherweise nicht oder nur ansatzweise erreicht werden. Auch wenn der TddZ unserer Einschätzung nach das deutsche Neonazi-Event mit den besten Perspektiven ist und sich die Demonstration bei etwa 500-600 Teilnehmenden stabilisiert und etabliert hat, gelang es ihnen nicht, an bürgerliche Diskurse anzuknüpfen und diese spürbar zu beeinflussen. Gleichzeitig machten breite Gegenproteste mit unterschiedlichsten Aktionsformen immer wieder die deutlich Ablehnung von Neonazis und ihren Einstellungen sichtbar, eine eigene öffentliche Wirksamkeit im Sinne der Veranstalter konnte der TddZ nicht erzielen.
Auch der Aufbau und die Unterstützung von Freien Kameradschaften vor Ort, das Vermitteln von praktischen Fähigkeiten in der politischen Arbeit aus den rechten Hochburgen in weitere Städte gerade in Niedersachsen, war de facto meist mehr ein Verheizen der wenigen lokalen Aktiven durch ebenso wenige, dafür aber mobilisierungsfähige Altkader wie Wulff und Riefling, die ihre Vorstellungen durchdrückten. Die Neonazi-Strukturen in Niedersachsen blieben – bei aller individuellen Gefährlichkeit – geschwächt, eine Zusammenarbeit auch mit der NPD findet aus persönlichen wie politischen Differenzen nicht statt.
Die Verlegung nach Dresden
Während der Kampagne 2013 wurde den Drahtziehern des „TddZ“ offenbar klar, dass zwar ein Anlaufpunkt für Autonome Nationalist_innen, Freie Kameradschaften und den einen oder anderen militanter auftretenden NPD-Funktionär geschaffen werden konnte, darüber hinaus jedoch die hochtrabenden Pläne der rechten Vordenker von einer Umsetzung weit entfernt waren. Auch die fehlende Kampagnenfähigkeit der Neonazistrukturen in den potentiellen „Gaststädten“ wurde offenbar als Hindernis für zukünftige Erfolge gesehen. Die Lösung: ein Aufruf an Autonome Nationalisten und Kameradschaften in ganz Deutschland, man möge doch eine „aussagekräftige Bewerbung“ mitsamt „eigener Ideen“ für die Kampagne 2014“ an die Initiatoren zu schicken, um den „TddZ“ in die eigene Stadt zu holen.
Dass bei dieser Ausschreibung das Dresdner „Netzwerk Mitte“ um Maik Müller, Simon Richter und Ronny Thomas gewonnen hat, ist nicht verwunderlich.
Einerseits kennen sich Maik Müller, Wullf und Riefling persönlich und teilen die gleichen politischen Ziele, andererseits bietet Sachsen generell und Dresden im Besonderen verschiedene Vorteile, um dem „TddZ“ wieder neuen Schwung zu geben.
Schon im letzten Jahrzehnt war Sachsen ein passables Pflaster für rechte Aufmärsche. Christian Worch – Mitanmelder des Hamburger „TddZ“ 2012 – hat Anfang der 2000er in Leipzig auch gerichtlich mehrere Demonstrationen durchgesetzt, bevor der Protest zu stark wurde. Und Dresden war bis 2010 ebenfalls sicher geglaubtes Terrain für die rechte Szene, da von bürgerlicher Seite keine Gegenwehr zu erwarten war und linksradikaler Protest polizeilich in Schach gehalten wurde. Als umso niederschmetternder wurden die erfolgreichen Blockaden in den nachfolgenden Jahren empfunden, Maik Müller als Anmelder musste heftige Kritik einstecken.
Nun scheint für die Kameraden offenbar der Zeitpunkt gekommen, die „Schmach von Dresden“ wieder auszubügeln. Im „rechten Kernland“ Sachsen bekommen sich Neonazis schnell organisiert, wenn ein handfestes Ziel vor Augen steht. 300 Leute wurden für den zweiten „Lichtellauf“ in Schneeberg innerhalb von weniger als 14 Tagen mobilisiert. Der ihnen nachfolgende Bürgermob hat gezeigt, dass sie in Sachsen mit Parolen gegen „Überfremdung“ bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und – anders als in Norddeutschland und Niedersachsen – neue Zielgruppen erreichen können. Dazu trägt auch die rechtskonservative CDU/FDP-Landesregierung bei, die ihnen mit einer rassistischen Asyldebatte einen Anlass geradezu auf dem Silbertablett serviert.
Auch ihre Organisationsfähigkeit unabhängig von den in Sachsen ebenfalls vergleichsweise starken NPD-Strukturen haben die sächsischen Neonazis unter Beweis gestellt. Das Unterstützer_innennetzwerk des NSU bestand unter anderem aus sächsischen „Blood & Honour“-Strukturen, aber auch die Vorbereitung von öffentlichen Aktionen funktioniert: Die Vorverlegung des Februaraufmarsches 2014 um einen Tag gelang trotz recht klandestiner Mobilisierung mit immerhin 500 Teilnehmenden. Diese konnten dadurch – und dank tatkräftiger Unterstützung durch die Polizeikräfte – trotz starkem Gegenprotest nicht erfolgreich blockiert werden.
Nazi-Kampagne 2014
Schon seit der Bekanntgabe Dresdens als Aufmarschort für den TddZ 2014 bemühen sich die Neonazis um eine echte Kampagnenarbeit, statt nur intern zu mobilisieren. Kundgebungen vor Heimen für Asylsuchende, Info-Tische auf rechten Musikveranstaltungen, sogar Frühjahrsputzaktionen werden unter dem Slogan „Unser Signal gegen Überfremdung“ durchgeführt und zeitnah im Internet in Szene gesetzt. Vieles davon besteht zwar aus umetikettierten und hochstilisierten Aktionen, die auch in der vergangenen Jahren an der Tagesordnung waren. Dennoch beweist das Spektrum der Freien Kräfte in Sachsen hier seine gute Vernetzung und eine zielgruppenorientierte, selbsbewusste Medienarbeit.
Dies hat auch eine gewisse Ausstrahlungskraft: Nach der Intrige gegen ex-Parteichef Holger Apfel und dem Scheitern der Bemühungen um „Seriöse Radikalität“ bei der sächsischen NPD rücken Teile der Partei wieder näher an Kameradschaftsstrukturen heran. Als Bindeglied dient dabei der Stellvertretende Vorsitzende Maik Scheffler. Früher als Kritiker der nationalistischen Partei bekannt, versucht sich der kameradschaftserprobte Aktivist (“Kameradschaft Delitzsch”, “Kampfbund Deutscher Sozialisten”, “Aktionsbüro Nordsachsen”) inzwischen im Schulterschluss der Rechten Bewegung. So könnte sich das Mobilisierungspotential zum 06. Juni noch einmal erhöhen, wenn die zerstrittene NPD den “TddZ” als Wahlkampfaktion offen unterstützt, um sich gegenüber der in Sachsen ebenfalls rechtslastigen AfD als die einzig wahre nationale Alternative zu profilieren.
Da sich die norddeutschen Neonazis die Fahrt zu „ihrem Event“ nach Dresden sicherlich nicht nehmen lassen werden, steht uns in Dresden also erneut eine Herausforderung bevor. Gehen wir sie zusammen an, damit dem „TddZ“ und der rassistischen Begleitkampagne ein Erfolg verwehrt wird. Sorgen wir dafür, dass der völkisch-nationalistische Staffellauf bald ein Ende findet.